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Late Talker/ Sprachentwicklungsverzögerung

Ein Gastbeitrag von Patricia Pomnitz (Logopädin & Therapiewissenschaftlerin, diplomierte Legasthenietherapeutin)


Sprachentwicklungszögerungen: Wenn zweijährige Kinder nicht oder nur wenig sprechen

Meilensteine in der Sprachentwicklung: Wann sprechen Kinder wieviele Wörter? Die meisten Kinder sprechen mit ca. zwölf Monaten ihre ersten Wörter wie „Mama, Papa, da, wauwau“. Anschließend lernen sie langsam, aber stetig neue Wörter hinzu. Zwischen dem 18 Lebensmonat und dem 2. Geburtstag wächst der Wortschatz sehr schnell an; das ist der sog. Wortschatzspurt, bei dem die Kidner täglich neue Wörter sprechen. Mit 24 Lebensmonaten können Kinder zw. 50 und 150 Wörter aktiv sprechen und entdecken die Grammatik, d.h. sie bilden 2-Wortsätze, wie „Mama Arm“ oder „Ball weg“. In dieser Zeit ist es vollkommen okay, dass die Wörter vereinfacht bzw. nicht alle Wörter richtig ausgesprochen werden, z.B. „Schnuller“ wird „nuni“, „Banane“ zur „nane“ oder der „Kamm“ zum „Tamm“. Und Kinder verstehen viel mehr als sie selbst sprechen.

Jedes Kind hat sein eigenes Tempo: Die Variabiliät in der Sprachentwicklung Es zeigen sich große Unterschiede in der frühen Sprachentwicklung. Manche Kinder beginnen früher, andere später zu sprechen. Das liegt daran, dass die Sprachentwicklung nicht einfach nach einem automatischen Programm abläuft. Vielmehr ist sie ein ganz aktiver Prozess - für das Kind und für seine Umwelt. Kinder entwickeln sich unterschiedlich schnell, je nach dem welche persönlichen Voraussetzungen sie mitbringen, wie weit sie z.B. in der Hirnreifung sind und welche sprachlichen Umwelten sie erleben. Eine gewisse Spannweite beim Erreichen der Meilensteine ist also normal.

Sprachentwicklungsverzögerungen: Late Talker Doch bei ca. 15% der Kinder ist die Sprachentwicklung deutlich verlangsamt, obwohl sich die Kinder in anderen Bereichen (z.B. Hören, Motorik) altersentsprechend entwickeln. Diese Kinder sprechen ihre ersten Wörter deutlich später oder sogar altersgemäß um den 1. Geburtstag, lernen dann aber lange Zeit (fast) keine neuen Wörter. Der Wortschatzspurt bleibt aus und die Kinder kommen nicht in die Grammatik. Sie verständigen sich im 2. Lebensjahr noch überwiegend durch kindliche Wörter (z.B. „wauwau, ham, gaga, heija“), Geräusche, ihre Mimik und Körpersprache sowie durch Zeigen. In der Fachwelt sprechen wir von einer verzögerten Sprachentwicklung, wenn ein Kind mit 24 Monaten weniger als 50 Wörter spricht. Ist das Kind in den anderen

Entwicklungsbereichen weitgehend altersentsprechend entwickelt, spricht man von einem Late Talker (= Spätsprecher). Häufig lernen diese Kinder auch mit zwei Jahren nur sehr langsam neue Wörter und es gibt immer wieder Phasen des Stillstands. Mit zweieinhalb Jahren sind sie noch weit von 100 Wörtern entfernt. Im Vergleich zu Kindern mit einer normalen Sprachentwicklung, sind die Sprachfähigkeiten also deutlich eingeschränkt.



Ursachen von Sprachentwicklungsverzögerungen Die Ursachen für Late Talking sind bisher nicht eindeutig geklärt. Es wird eine genetische Komponente angenommen, denn in der engen oder weiteren Familie gibt es oft Personen, die auch spät angefangen haben zu sprechen oder andere Sprachprobleme und Lese-Rechtschreibschwierigkeiten zeigen. Die Kinder haben keine grundsätzlichen Auffäligkeiten in der Intelligenz, sondern bei ihnen besteht eine spezifische Schwäche in der Verarbeitung von Sprache. Dies äußert sich zum Beispiel darin, dass sie sich Wörter nicht gut merken können und mehr Zeit benötigen, um sprachliche Regeln zu lernen. Kinder unter drei Jahren sind relativ häufig von Mittelohrentzündungen betroffen, aber nicht alle diese Kinder haben Sprachprobleme. Bei Kindern mit Sprachverarbeitungsproblemen wirken sich Hörminderungen jedoch sehr ungünstig aus. Deshalb sollte die Hörfähigkeit bei Late Talkern immer überprüft und falls nötig auch medizinisch versorgt werden. Mehrsprachigkeit macht keine Verzögerung! Wenn ein mehrsprachig aufwachsendes Kind mit 24 Monaten insgesamt in beiden Sprachen weniger als 50 Wörter spricht, benötigt es genauso wie ein einsprachiges Kind eine Abklärung der verzögerten Sprachentwicklung.

Wie entwickeln sich Late Talker? Ein später Sprechbeginn sagt zunächst nichts über die weitere Entwicklung aus. Es gibt Kinder, bei denen „der Knoten platzt“ und die ihren Rückstand zwischen dem zweiten und dritten Geburtstag von alleine aufholen (sog. Late Bloomer - Späterblüher). Mehr als die Hälfte der Late Talker holt jedoch nicht auf; d.h. sie haben dann über den dritten Geburtstag hinaus leichte bis hin zu großen Schwierigkeiten in ihren Sprachfähigkeiten (Wortschatz, Grammatik, Aussprache, Sprachverständnis, Erzählfähigkeiten). Ab dem dritten Geburtstag sprechen wir von einer Sprachentwicklungsstörung (SES). Betroffene Kinder benötigen häufig eine intensive sprachtherapeutische Behandlung. Leider kann im Alter von zwei Jahren bisher nicht sicher vorhergesagt werden, welche Kinder den Rückstand aufholen werden und welche nicht. Ein wichtiger Faktor ist das Sprachverständnis. Kinder, die im Alter von zwei Jahren keine 50 Wörter sprechen und

zusätzlich Probleme beim Verstehen von Wörtern und einfachen Sätzen haben, tragen das größte Risiko für eine SES. Weitere bedeutsame Faktoren für den Verlauf der sprachlichen Entwicklung sind das generelle Interesse des Kindes an Kommunikation, die Aussprache und die Art, wie Bezugspersonen mit dem Kind umgehen. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, dass eine Fachperson die sprachlichen Fähigkeiten eines Late Talkers im Rahmen einer standardisierten Untersuchung überprüft.

Mein Kind ist ein Late Talker - was ist zu tun? Teilen Sie ihre Beobachtungen und Sorge mit Ihrer Kinderärztin. Diese wird die nötigen Schritte einleiten:

  1. Die Gesamtentwicklung beurteilen: Eine verzögerte Sprachentwicklung kann ein Zeichen für eine allgemeine Entwicklungsverzögerung oder andere Grunderkrankung sein. Daher ist es wichtig die U-Untersuchungen wahrzunehmen und Sorgen/ Unsicherheiten mit Ihrem Kinderarzt zu besprechen.

  2. Die Hörfähigkeit überprüfen (am besten bei einem Pädaudiologen): Hörstörungen können in jedem Lebensalter auftreten und werden im Alltag oft übersehen, weil die Kinder schnell lernen, vermehrt auf Mimik, Gestik und die Situation zu achten.

  3. Die sprachlichen Fähigkeiten von einer Fachperson mit einem Sprachentwicklungstest einzuschätzen: Hierbei werden das Verstehen von Sprache, die Qualität der Sprache (Wortschatz, Aussprache, Grammatik) und weitere für die Sprachentwicklung wichtige Marker (Kontaktverhalten, Aufmerksamkeit, Blickkontakt, Mimik/Gestik, Spielverhalten uvm.) untersucht.

  4. Ein gutes Sprachvorbild und ein sprachförderliches Verhalten: Sie sollten Ihr Kind im Alltag unterstützen, denn es benötigt mehr Hilfe beim Sprechenlernen als andere Kinder. Dabei ist Ihr Verhalten und ihr eigenes Sprechen entscheidend! In einer Elternanleitung können Sie lernen, wie Sie Ihr Kind im Alltag wirksam fördern können. Die hohe Wirksamkeit von Elternmaßnahmen bei Sprachentwicklungsverzögerungen ist wissenschaftlich belegt.

Dieser Beitrag wurde von Patricia Pomnitz (Logopädin & Therapiewissenschaftlerin, diplomierte Legasthenietherapeutin) verfasst. Über die Onlineplattform „Sprachgold“ berät sie Eltern rund um das Thema Sprachentwicklung, Sprachstörungen und Sprachförderung. Hier findest du Patricias Beratungsangebote und Online-Kurse: https://www.sprachgold-online.de

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